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From Fe-Von Fe-Mail zu f-e-mail & darüber hinaus: Cyberfeministische Netzwerke im World Wide Web

www.arts.ucsb.edu/f-e-mail

by Victoria Vesna




Kommunikation ist bei der Betrachtung von Geschlechterfragen von zentraler Bedeutung. Hier sind unsere Unterschiede am offensichtlichsten. Wenn die Kommunikation über Computer - im speziellen über Netzwerke - erfolgt, kann die Wichtigkeit des Schaffens vo n Umgebungen, die von und für Frauen gestaltet werden, nicht unterschätzt werden.

Obwohl die Erklärungen sehr unterschiedlich sind, haben feministische Wissenschafterinnen die weibliche Weltsicht als signifikant verschieden von der männlichen beschrieben.[1] Viele argumentieren aus psychologischer Perspektive, daß "weibliche Identität sich um Verbundenheit und Beziehung" dreht, die männliche Identität im Gegensatz dazu "Vereinzelung und Unabhängigkeit" betont. [2] Wenn die Wahrheit auch irgendwie in der Mitte liegt und viel unordentlicher ist, wird es allgemein akzeptiert, daß "Männer vom Mars, Frauen von der Venus" sind. (Gray, 1992) Das Netz erlaubt uns, einen Raum zu schaffen, wo wir unsere Unterschiede zelebrieren und das Verfließen der Geschlechterkonstruktionen akzeptieren können.

f-e-mail versteht sich als computervermittelte Ausweitung physikalischer "snail mail"-Netzwerke wie Women Beyond Borders. Es wurde entworfen, um die Arbeiten von Künstlerinnen auszustellen, die Netzwerktechnologien verwenden, um Frauen in digitaler Kunst auszubilden und Verbindungen zu Frauennetzwerken innerhalb oder außerhalb elektronischer Netze zu schaffen. Obwohl diese Projekte auf die Mail Art der vergangenen drei Jahrzehnte anspielen, gibt es einen signifikanten Unterschied - diese Netzwerke sind vo r allem für und von Frauen gestaltet. Computervermittelte Netzwerke, inhärent chaotisch, nichtlinear und fließend, bieten Künstlerinnen natürliche Umgebungen zum Experimentieren, Austauschen von Ideen, Schaffen von Hilfssystemen und Sich-Weiterentwickeln.

Eternal Networks

In den späten fünfzigern und frühen sechzigern entstanden drei Hauptströmungen von Korrespondenzkunst: die New York Correspondence School in den USA, die Nouveau Realists in Europa und die Fluxusbewegung, die in beiden Kontinenten und in Japan aktiv wurde . 1963 entwickelte Robert Fillou sein Konzept des "Eternal Network", bei dem nicht so sehr die Kunst, sondern vielmehr die Beschaffenheit des Menschen im Mittelpunkt stand. Es bezog sich auf eine frühere Feststellung, nachzulesen in Robert MotherwellÇs ei nflußreicher Ausgabe von "Die Dada Maler und Dichter" von Tristan Tzara, der darauf bestand, daß die Teilnehmer an Dada "alle Unterschiede zwischen Leben und Poesie in Abrede stellten" (Welsh, 1995). Das Eternal Network legte seine Betonung auf Dialog, Pr ozeß, Gruppenforschung und Gemeinschaft, mit KünstlerInnen wie Yoko Ono, Nam June Paik und Christo, die alle irgendwann an diesem Prozeß teilnahmen. Von den frühen sechzigern an blühte das Eternal Network unter Verwendung des Postsystems, blieb jedoch grö ßtenteils unsichtbar und wurde von der etablierten Kunstwelt mit ihrem Hang zum Meister bzw. Meisterwerk ignoriert. Aber selbst in dieser flüchtigen Bewegung blieben Frauen am Rande. Mail Art entstand als Reaktion auf die etablierte Kunstwelt, wurde jedoc h sehr schnell zur Männerkunst (male art) - einer weiteren Form der alten Bubennetzwerke. Frauen hatten Schwierigkeiten mit den Gesetzen und Hierarchien, die mit den Mail Art Manifesten entstanden, und vielleicht hatten die Kommunikationsunterschiede, auf die die Feministinnen hingewiesen haben, etwas damit zu tun. Eine Antwort auf dieses Problem gab Fry Zabitsky, die in den frühen achzigern einen Gummistempel gestaltete mit dem Slogan: "Männer machen Manifeste, Frauen schließen Freundschaft". (Friedman, 1995).
Viele KünstlerInnen, die in der Mail Art der sechziger aktiv waren, zogen sich Mitte der siebziger als Antwort auf die unausgeglichene Ästhetik vom Netzwerk zurück. Doch Anna Banana aus San Francisco glaubte, daß der Prozeß der Kommunikation wichtiger sei als die Ästhetik. Sie gab VILE heraus, ein Magazin für Mail Art. Die populärste Ausgabe war Nummer 6, "Fe-Mail" Art, eine Sammlung von Mail Art Werken, die ausschließlich von Frauen stammten. Die Inhalte waren in drei Kategorien gegliedert: Post-Kunst, P ostkarten und Korrespondenz. Fe-mail reproduzierte Arbeiten von über hundert Frauen aus den USA, Kanada, Australien, Japan, Brasilien, England, Frankreich, Holland, Deutschland, Spanien, Iühmtheiten wie Yoko Ono, Martha Wilson, Alison Knowles nahmen teil. 700 Exemplare wurden am 7. September 1978 gedruckt, genau vor zwanzig Jahren. (Banana, 1995). Diese Zeitschrift könnte der bedeutendste Vorgänger von speziell für Künstlerinnen gest alteten Netzwerkprojekten sein.
Nach zwanzig Jahren in der Frauen-Kunstbewegung fehlt es Künstlerinnen noch immer an nennenswerter Unterstützung in der Kunstwelt.[3] Laut Guerrilla Girls sind Frauen durchschnittlich zu 15% in kuratierten Ausstellungen vertreten, Frauen aus Minderheitsgr uppen zu 0,003%. 4% der Museumsankäufe sind Arbeiten von Künstlerinnen. Aber, mit Erscheinen des Personal Computers und des World Wide Web ist es nun möglich, sowohl ein umfassendes Archiv von Künstlerinnen, als auch Raum zum Ausstellen, Publizieren, Aust auschen von Ideen und Ressourcen zu schaffen.

Von Fe-Mail zu f-e-mail

Seit den frühen siebzigern gibt es eine Welle von Forschungsprojekten über Künstlerinnen, was die Entdeckung Hunderter und Tausender Künstlerinnen quer durch die gesamte Geschichte und aus allen Teilen der Welt nach sich zog. Etwa um die gleiche Zeit, im Jänner 1975, kam der erste Personal Computer heraus - der Altair 8800. Es ist eine Ironie, daß eines der männerdominiertesten Gebiete - die Computerwissenschaft -, eine Maschine entwickelte, die das Potential hat, fest verwurzelte patriarchale Systeme zu destabilisieren. Sherry Turkle (1984) stellt in ihrer Studie über die kulturelle und psychologische Welt der Computer und Computerwissenschaft fest, daß die verschiedenen Methoden, die durch Mädchen und Frauen in der Computerwissenschaft zum Tragen kommen, unsere Vorstell ungen davon reformieren, was Wissenschaft eigentlich ausmacht. Im speziellen glaubt sie, daß der Computer eine besondere Rolle in diesem Prozeß spielt, da er einen Zugang zu formalen Systemen schafft, der für Frauen viel naheliegender ist. "Es kann mit ih m verhandelt werden, man kann auf ihn reagieren, er kann psychologisiert werden" (S. 118). Die Unterschiede hier werden eher verwendet, um die Computerwissenschaft und die Geschlechterkategorien, die mit vielen wissenschaftlichen Gebieten assoziiert werde n, neu zu definieren, als diese zu reinstitutionalisieren. (Lawley, 1993). Sobald das Internet benutzerfreundlicher wurde, begannen sich die starren Prozentsätze von Benutzern als meist weiße Männer in den frühen Dreißig zu verschieben. Eine völlig neue Generation von Feministinnen verwenden dieses Medium, um sich miteinander zu verbinden, zu kommunizieren und unterstützende Systeme anzubieten. Das World Wide Web bietet einen Platz für Frauen, die dem Establishment der sogenannten politisch korrekten Feministinnen zunehmend entfremdet wurden. Hier können sie ihr Recht auf eine V erschiedenheit von Standpunkten und Strategien in Hinblick auf ein gemeinsames Ziel zurückfordern - das Erlangen gleicher Rechte wie ihre männlichen Gegenstücke. Künstlerinnen, die das World Wide Web als primäres Ausdruckmedium verwenden, haben eine einzi gartige Position, um unabhängig von Galeriesystemen und bestimmten Formen kuratierender Entscheidungsprozesse Beachtung zu finden. In Verbindung mit Technologie ist es möglich, Identität, Sexualität und sogar Geschlecht zu konstruieren, wie auch immer wir uns vorstellen wollen, daß wir sind. Dies ist eine ideale Umgebung für die, die in keine vorgeformte Vorstellung dessen passen, was ein Künstler ist, besonders für die, deren Arbeit nicht einfach definierbar und noch schwieriger zu kategorisieren ist. Eine erkleckliche Anzahl von Frauen, die in Kunst und Kunstgeschichte ausgebildet sind, haben plötzlich ein kreatives Ventil, das kein großes Kapital oder spezielle Beziehungen verlangt, um dabei zu sein. Ein bemerkenswertes Beispiel dieser Art von Kunsta ktivismus ist Kathy Huffman, die sich von einer erfolgreichen Videokuratorin in den frühen achzigern zu einer erfolgreichen Cyberfeministin/Künstlerin im Web entwickelte. Seit 1995 arbeitet sie gemeinsam mit Eva Wohlgemuth an zahlreichen Internet-Kommunik ationsprojekten, wie zum Beispiel Siberian Deal, Face Settings und einem Cyber-Gemeinschaftskochevent. [4] Face Settings, ihr neuestes Internetprojekt erforscht Kommunikation zwischen Frauen, on- und off-line, und etabliert eine on-line Diskussion über G eschlechterfragen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kunst, Feminismus und Vernetzungsarbeit im Netz zusammenprallen. Ein weiteres, extremeres Beispiel dieser Art von Kollision ist VNS Matrix. Deren Eröffnungsstatement sagt, daß sie "etwa 1991 während eines Südaustralischen Sommers aus dem Cybersumpf hervorgetreten sind, um den Technocowboys ihre Spielzeuge zu stehlen und die Cyberkultur mit einer feministischen Wendung neu zu kartographieren." [5]

Es gibt jedoch auch viele Frauen, die im Web arbeiten, ohne direkt feministische Fragen in ihre Arbeit einzubetten, oder sich dazu entscheiden, ausschließlich mit Frauen zu arbeiten. Das Web läßt viele Standpunkte zu, und glücklicherweise müssen wir uns n icht an ein strenges Manifest oder einen Code oder eine Führung halten. Das Zeitalter des dogmatisch korrekten Feminismus ist unwiderruflich vorbei. Wie Donna Haraway hervorhebt, haben internationale Frauenbewegungen eine "weibliche Erfahrung" konstruiert , die gleichermaßen eine Fiktion als auch eine Tatsache der entscheidendsten, politischen Art ist. Wie sie es ausdrückt: "Befreiung beruht auf der Bildung von Bewußtsein, imaginativem Verständnis, auf Unterdrückung und daher auf Möglichkeit."

Eine berühmte Stelle von Haraway lautet: "Ich bin lieber ein Cyborg als eine Göttin", eine Herausforderung an die konventionelle feministische Weisheit, daß Wissenschaft und Technologie patriarchaler Gifthauch am Gesicht der Natur sind. Als Cyborg ist Har away ein Produkt von Wissenschaft und Technologie, und sie sieht nur wenig Sinn im sogenannten Göttinnen-Feminismus, der predigt, daß Frauen ihre Freiheit finden können, indem sie sich ablösen von der modernen Welt, und ihre angebliche spirituelle Verbind ung zur Mutter Erde entdecken. Haraway ist zur Heldin der Cyberfeministinnen geworden. (Kunzru, H. 1997)

Besonders inspirierend ist es, einige der neuen Generation von Frauen zu betrachten, die im World Wide Web arbeiten. Zum Beispiel The Friendly Grrls Führer begrüßt uns, indem er uns die neue Sprache des Internets vorstellt: "Girls sind nicht girls, sonder n grrls, super kewl (coole) junge Frauen, die die Beharrlichkeit und den Schwung haben, im Netz zu surfen, mit anderen jungen Frauen im Netz zusammenarbeiten und die Anwesenheit junger Frauen in neuen und entstehenden Technologien auszuweiten. Also setze deine VR-Brille auf, die Maushand bereit, und tauche in den Cyberspace mit dem Friendly Grrls Guide ... dann kann nichts schief gehen!" [6]

Laut Sadie Plant, Direktorin des Centre for Research into Cybernetic Culture an der Universität von Warwick, England, ist "Cyberfeminismus eine Verbindung zwischen Frauen, Maschine und neuer Technologie. Es existiert eine langwährende Beziehung zwischen Informationstechnologie und Frauenbewegung."[7] Wenn man das Schlüsselwort "Woman" in jede beliebige Suchmaschine im World Wide Web eingibt, wird klar, daß die Relationen gesünder denn je sind - Frauen und Frauennetzwerke wuchern online. Viele homepages, die sich Frauenfragen widmen, wurden eingerichtet: von Computerwissenschafterinnen, die über die Diskriminierung in ihrem Beruf diskutieren, wie auch von Müttern, die ihre Probleme, Ratschläge und Kind-der-Woche-Bilder eingeben. [8] Dies ist besonders w ichtig für geografisch isolierte Frauen, die bisher keinen Zugang zu bestärkenden Informationen und fördernden Milieus hatten. Man kann mit Gewißheit vorhersagen, daß in weniger als einem Jahrzehnt Computer ebenso allgegenwärtig sein werden wie heute Fern sehen und Telefon. Dies verspricht einen bedeutenden Einfluß auf das soziale Leben und die Gewohnheiten unseres zunehmend globalen Dorfes.

Computervermittelte Kommunikation könnte eine zentrale Rolle dabei spielen, das Bedürfnis nach Kommunikation, sowie den Austausch von Ideen und frauenspezifischen Erfahrungen unter Künstlerinnen zu verstärken. Mit minimalem Bedarf an ökonomischem oder pol itischem Kapital könnten Frauen damit beginnen, ein umfassenderes Verstehen der sozialen Beziehungen und Ideologien technischer Prozesse zu entwickeln. Einmal besser vertreten in der Benutzer-Gemeinschaft wird es ihnen möglich sein, einen wesentlich stärk eren Einfluß auf die größeren Gebieten von Gestaltung und Verwendung auszuüben. Dies ist eine einzigartige Zeit, ein Fenster der Möglichkeit für Künstlerinnen, die in diesem Bereich arbeiten, sich zu entscheiden, ob sie als Gruppe oder als Individuen arb eiten wollen, im oder außerhalb des Kontexts von Frauenfragen.



References:

Banana, A. (1995) "VILE History" in Eternal Network: A Mail Art Anthology, ed. Welsh, C., pg.15, Calgary: University of Calgary Press
Haraway, D. (1991) Simians, Cyborgs, and Women: The Reinventions of Nature, p. 149, Routledge: New York
Friedman, K. (1995) "The Early Days of Mail Art" in Eternal Network: A Mail Art Anthology, ed. Welsh, C., pg.15, Calgary: University of Calgary Press
Gilligan, C (1
Gray, J. (1992) "Men are From Mars, Women are from Venus", New York: Harpercollins
Kunzru, H. (1997) February. Wired, Issue 5.02
Lawley, E. (1993) Computers and Communication of Gender, available via the WWW: http//:www.itcs.com/elawley/gender.html
Motherwell, R. ed. (1989) Tristan Tzara 1989 "An Introduction to Dada" in The Dada Painters and Poets, Cambridge and London: The Belknap Press of Harvard University Press, p. 402
Turkle, S. (1984). The second self: Computers and the human spirit. New York: Simon and Schuster.

Notes:

1) Worldview, language and nonverbal communication, particularly the use of space and/or time, are often identified as important elements of intercultural communication. Worldview refers to a "culture's orientation towards such things as God, humanity, na ture, the universe, and other philosophical issues that are concerned with the concept of being.
2) Becky Mulvoney writes a good overview of gender difference in communication in her online essay "Gender Differences in Communication: An Intercultural Experience"
A link to this paper can be accessed via the f-e-mail homepage.
3) According to the 1990 US study, Gender Discrimination in the Artfield, 50.7% of all visual artists are female; women hold 53.1% of the degrees in art, yet 80% of art faculty are males, male artists make 68.6% of the total art income, male artists recei ve 73% of grants/fellowships.
4) Siberian Deal, Cyber co-cooking, Face to Face can be accessed via the World Wide Web: http://thing.at/face/index1.htm
5) The VNS Matrix are Josephine Starrs, Julianne Pierce, Francesca da Rimini and Virginia Barratt. Their site is at: http://206.251.6.116/geekgirl/001stick/vns/vns.html
6) Friendly Grrls guide is at: http://www.webgrrls.com
7) An online interview with Sadie Plant published by Geekgirl magazine can be accessed via the f-e-mail homepage
8) A ressource for moms online can be found at: http:// www.yoyoweb.com/wospace
Ellen Spertus at MIT authors a page Women in Computer Science that has lots of helpful links: http://www.ai.mit.edu/people/ellens/gender.html

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Victoria Vesna:
vesna@arts.ucsb.edu



Aus dem Englischen übersetzt von Eva Ursprung ursprung@kfunigraz.ac.at